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Editorial


Der Europäische Gerichtshof hat in einem Vertragsverletzungsverfahren, das die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hatte, mit Urteil vom 15.10.2015, Rs. C-137/14, u.a. entschieden, die Präklusionsvorschriften des § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG seien europarechtswidrig.

So allgemein, wie sich der EuGH geäußert hat, ist die (materielle) Präklusion, wie sie die deutsche Rechtslage kennt, als kodifiziertes Rechtsprinzip erledigt. Der deutsche Gesetzgeber dürfte entsprechend reagieren und flächendeckend Präklusionsvorschriften aufheben (vgl. dazu auch die vertieften Anmerkungen von Henning in diesem Heft).

Für jene, die in der Verwaltungspraxis immer auch mit dem Aspekt der Präklusion umzugehen hatten, wird das Verdikt des EuGH wenigstens überraschend, eher ernüchternd gewesen sein. Tatsächlich hat der EuGH mit seinem Urteil in der Rs. C-137/14 namentlich das Verwaltungsverfahren bundesdeutscher Prägung entwertet – und es ist zu fürchten, dass der Eindruck nicht trügt, dem EuGH habe es insoweit an Gespür für die Praxis der hier betroffenen Verwaltungsverfahren gemangelt. Der Spruch des EuGH jedenfalls hat eher die Note eines Hammers.

Keine Frage: Staatliche Verwaltung muss ihre Entscheidungen jederzeit vor Gerichten rechtfertigen können. Der Rechtsweg ist eröffnet und die vom EuGH idealisierte „umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung“ ist unabdingbar.

Dieses zu fördern, ist aber gerade Sinn der Präklusionsvorschriften gewesen. Und genau hier liegt das Problem, das dem Spruch des EuGH folgt: Wenn es keine Präklusion mehr gibt, so wird es niemanden, der das zur Genehmigung gestellte Vorhaben ablehnt, gelüsten, bereits im Genehmigungsverfahren alle Argumente offenzulegen, die er gegen das Vorhaben vorbringen will. Substantielles wird zurückgehalten – so ist jedenfalls zu befürchten – und wird gegebenenfalls erst bei Gericht vorgetragen. Zum einen, weil man Gerichten mehr traut als Behörden. Völlig legitim. Zum anderen aber wird der eine oder andere Gegner des Vorhabens wesentliche Argumente deshalb möglichst spät vortragen, weil damit etwa die gerichtliche Überprüfung – ggf. über die Instanzen – befrachtet werden kann mit teils zeitraubenden Ermittlungen. Die Umsetzung des umstrittenen Vorhabens muss warten. Auch im einstweiligen Rechtsschutz können bereits solche Effekte erzielt werden.

Wie gesagt: Kein Vorhaben hat Anspruch auf Umsetzung, das rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Das heißt: Hat die Verwaltung ein solches Vorhaben genehmigt, so vermag dieses Vorhaben unter gerichtlicher Betrachtung letztlich doch zu scheitern. Dies allerdings ist die Kehrseite jener Medaille, die ausweist, dass jeder Antragsteller einen Anspruch auf ein rechtsstaatlich korrektes Genehmigungsverfahren hat und das heißt auch auf eines, das ihm Sicherheit zumindest darüber verschafft, dass das Vorhaben auf breit ausermittelter Erkenntnisgrundlage zugelassen wurde. Diese Sicherheit aus Verfahren hat der EuGH mit der Feststellung beiseitegeschoben, es sei „keineswegs erwiesen, dass eine umfassende gerichtliche Kontrolle der sachlichen Richtigkeit dieser Entscheidung diesem Grundsatz (der Rechtssicherheit) abträglich sein könnte“. Sicher: Die Verwaltung hat selbst alle Umstände zu ermitteln, die für bzw. wider das Vorhaben sprechen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit aber soll ja gerade dazu dienen, dass die Entscheidung der Genehmigungsbehörde auf möglichst breite Erkenntnisgrundlage gestellt werden kann. Dem diente es, wenn die Öffentlichkeit sich jederzeit bewusst sein musste, alle ihr bekannten Gegenargumente tatsächlich vortragen zu müssen, um nicht im die Genehmigungsentscheidung überprüfenden Verfahren mit den zuvor nicht vorgetragenen Argumenten ausgeschlossen zu sein.

Entfällt diese Präklusion – aus dem Spruch des EuGH direkt für behördliche Entscheidungen im Anwendungsbereich der UVP- und IE-RL, vermutlich aber wegen entsprechender gesetzgeberischer Reaktion generell –, so entwertet dies die diesen behördlichen Entscheidungen vorausgehenden Verfahren.

Denn: Mit dem Spruch des EuGH droht Antragstellern wie auch der Verwaltung eine Lage, die der Verwaltungsentscheidung jede Steuerungswirkung nimmt und den Gerichten die eigentliche Ermittlung des Sachverhalts und damit letztlich Entscheidung überlässt. Das vorgerichtliche Verfahren droht substantiell an Bedeutung zu verlieren – und den Gerichten droht eine Flut an zu prüfender Substanz, der die Gerichte letztlich nicht mehr Herr werden könnten.

Wer es gerne polemisch hat, mag sogar auf die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht verweisen, Art 20 Abs. 3 GG, und behaupten, das sei ja nun hinsichtlich der Beteiligung der Öffentlichkeit relativ egal, weil aus der Öffentlichkeit nicht mehr allzu Substantielles zu erwarten sei. Derselbe mag auch leisen Zweifel darüber anmelden, ob denn der EuGH tatsächlich erkannt habe, worüber er hier zu urteilen hatte.

Derartige Boshaftigkeiten liegen dem Verfasser dieser Zeilen fern.

Nicht fern aber liegt ihm und vermutlich den meisten jener, die sich als Behördenmitarbeiter regelmäßig mit umweltrechtlich relevanten Vorhaben und deren rechtsgemäßer Zulassung zu befassen haben, dass das Verwaltungsverfahren weiterhin rechtsstaatlich zentrale Bedeutung hat und haben muss und dass es deshalb in allen seinen Elementen dieser Bedeutung gemäß durchverhandelt und wahrgenommen werden muss. Dazu dient es nicht, wenn Äußerungen im Verfahren geradezu beliebig sein können, weil man sich etwa auf das anschließende Gerichtsverfahren zu kaprizieren vermag. Es ist weder rechtsstaatlich dienlich noch ist es jenen gerecht werdend, die sich im Verfahren um Klarheit, Sicherheit und Akzeptanz des zu findenden Rechts bemühen, wenn man sich am Ende des Verfahrens, zumal nach Austausch und Erörterung von Einwendungen begegnet und zusichert, es sein „schön“ gewesen, „schön, dass wir drüber geredet haben …“.

Carsten Diekmann

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